Initialerlebnis Fahrrad

Der Beginn einer großen Leidenschaft.

Mit großen Augen verfolge ich die Vorbereitungen meines älteren Bruders, der in wenigen Minuten zu einer für mich unvorstellbar langen Fahrradtour aufbrechen wird. Es liegt eine seltsame Spannung in der Luft. Sie scheint zu flimmern, wie sonst nur bei großer Hitze, oder wie man es aus dem Fernsehen kennt.

Mein Vater bespricht mit meinem Bruder noch einmal den ersten Streckenabschnitt, während meine Mutter der Szene eher sorgenvoll folgt. Wie gerne würde ich mitkommen, wie gerne würde ich es sein, der hier aufbricht…

Irgendwann in den frühen Achtziger Jahren

Bewundernd fährt meine Hand über den glänzend schwarzen Lack seines neuen Kalkhoff-Sportrades. Mit dem geteilten Oberrohr und der schwungvollen Führung der beiden ungewohnt dünnen Oberrohre am Sattelrohr vorbei, ist es für meine Augen damals der Inbegriff eines ganz besonderen Fahrrades.

Ich finde es sogar noch aufregender als mein eigenes neues Fahrrad, ein silbernes Patria, das im Keller darauf wartet, dass ich endlich groß genug bin, es auch zu fahren. Warum wachse ich nur so langsam?

Warum kann nicht ich es sein, der hier stolz verabschiedet wird? Furchtbar ungerecht kommt mir das Leben gerade vor.

Winkend macht sich mein Bruder in seinen kurzen Adidas-Shorts auf den Weg durch die fränkische Schweiz nach Hersbruck, den Ort, den er heute nach vielleicht hundert Kilometern mit dem Fahrrad noch erreichen will. Aus der Sicht eines kleinen Jungen, der selbst noch kaum Fahrrad fahren kann, ein sehr großes Abenteuer. Voller Wehmut und Stolz sehe ich ihm nach, bis er langsam aus meinem Blick verschwindet.

Meine erste Erinnerung

Der Aufbruch meines Bruders zu dieser Fahrradtour ist die früheste Erinnerung, die ich mit meiner heutigen Faszination für das Fahrrad in Verbindung bringe.

Als hätte ich damals schon geahnt, welche Rolle das Fahrrad in meinem Leben noch spielen würde, hat sich diese Erinnerung in meinem Gedächtnis eingeprägt.

Viel mehr als die meisten meiner eigenen Aufbrüche, die in der großen Mehrheit doch ganz alltägliche zum Training mit dem Rennrad waren (-> Radlauf).

Ähnliche Momente

Ein ähnliches Gefühl wie damals beschleicht mich heute noch, wenn ich an einem Bahnhof stehe und meinen Blick den Gleisen in die Ferne folgen lasse, oder wenn ich im Alltag einem Radreisenden der verwegenen Sorte begegne. Dann packt es mich, dann fühle ich ein wenig wie damals.

Das Fahrrad hat in mir also schon sehr früh Sehnsüchte geweckt, die ich auch mehr als drei Jahrzehnte später noch nicht genau benennen kann. Es symbolisiert für mich seit damals wahrscheinlich die anziehende Mischung aus Bewegung, Freiheit und Abenteuer. Schon deswegen muss immer eines aufbruchbereit da stehen, auch wenn gar nichts geplant ist.

Warum ich heute davon schreibe?

Gestern Abend habe ich seit langem mal wieder eine Kiste mit alten Fotografien durchgesehen. Dabei bin ich auf ziemlich viele gestossen, die irgendwie mit meiner Leidenschaft für das Fahrrad zusammenhängen. Alte Bilder von Radreisen, von Radrennen und aus Trainingslagern. Später am Rechner auch noch die von den ersten Fahrradausflügen mit meinem Sohn. Irgendwann dachte ich darüber nach, wie sehr und seit wann mich Fahrräder und die Bewegung damit schon faszinieren.

Und dann war die beschriebene Aufbruchsszene plötzlich da – einfach so, und ganz ohne Foto. Für die entscheidenden Erinnerungen scheint es solche nicht zu brauchen.

Vielleicht denkst Du jetzt auch schon darüber nach, was dein Initialerlebnis mit dem Fahrrad war, oder welche frühen Erinnerungen Du dazu hast. Das würde mich freuen.

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