Mit dem Altinger nach Monte Sante Marie

Schweiß tropft von innen auf meine Brille. Oh, wie ich das hasse. Doch Abnehmen ist nicht. Zu sehr sind meine Hände gerade damit beschäftigt, am Unterlenker zu ziehen. Mit ganzer Kraft stemme ich mich in die Pedale meines seltenen Altinger Renners, der trotz staubig-losem Untergrund und extremer Steigung die Traktion nicht verliert. Der Wilhelm Altinger wusste schon, was er tat.

So genial wie das pinkfarbene Shiny-tape zu meiner grau-blauen Altinger-“Maus” passt, so absurd wirkt es auf diesem rauen Abschnitt hinauf nach Monte Sante Marie…

L’Eroica zum Vierten

Die Strade Bianche hinauf nach Monte Sante Marie sind alljährlich der härteste Teil der L’Eroica in Gaiole, egal ob man sich für die 135 km lange “Genießer”-Runde entscheidet (wie ich) oder die von vielen unterschätzte 210er.

Strade Bianche L'Eroica seblog.de
Hier noch Genuß-Gravel! An anderen Stellen sind beide Hände am Lenker ein Muss.

Was diesen Abschnitt so schwer macht? Das habe ich nach meiner ersten Teilnahme 2017 schon einmal zu beschreiben versucht, und besser bekomme ich das wohl auch heute nicht hin.

Die Bedingungen sind diesmal jedenfalls recht ähnlich. Es hat lange nicht geregnet und die Sonne, die sich heute zwar erst spät zeigt, erwischt mich ausgerechnet auf dem Weg hinauf nach Monte Sante Marie. Zur Mittagszeit. Im Wolltrikot. So muss das sein.

Gravel bei L'Eroica seblog.de
Auf den traumhaft schönen Strade Bianche Richtung Horizont…

Murphy’s law

Eigentlich ertappt mich Murphy da schon das zweite Mal. Ich habe heute morgen meine Luftpumpe liegen lassen und zum Umkehren war es zu spät.

Klarer Fall, dass ich ausgerechnet in der übelsten Abfahrt platt fahre. Ich versuche zwar noch, die querlaufende, gut 30cm tief ausgewaschene Rinne, zu überspringen, bekomme das Hinterrad aber nicht mehr richtig hoch und krache voll rein damit. Ein astreiner Snakebite die unvermeidbare Folge…

Und mein Mitfahrer? (“Ich habe doch auch eine Pumpe”) … fährt leider besser ab und ist bereits um die Kurve rum – außer Sicht.

Altinger L'Eroica seblog.de
Mein erster Platten bei vier Teilnahmen erwischt mich kalt – Pumpe vergessen.

Doch die Hilfsbereitschaft der Italiener ist groß und schon der Zweite, der anhält, hat auch eine funktionierende Pumpe. Das Schöne: Streß oder gar Hektik sind bei L’Eroica fehl am Platz – auch bei Pannen.

Dennoch, es geht mir ein Stück der großen Leichtigkeit verloren, die ich vor der Panne noch hatte (“bloß vorsichtig jetzt!”).

Mein Rennrad? Ein Altinger Kriterium (1980)

Fast ein bisschen unfair empfinde ich, dass ich ausgerechnet mit dem Altinger meine erste Panne bei L’Eroica erleide, fährt es sich doch sonst so toll. Aber was kann das Rad für meinen Fahrfehler.

Nur zwei Wochen vorher hat es ein Freund gekauft, obwohl es ihm etwas zu groß ist, einfach weil er das seltene Rad nicht stehen lassen will. Ein Glück, dass er an mich denkt, und dass es mir passt.

Altinger Rennrad von 1980 seblog.de
Das Altinger Kriterium ist nach blitzartigem Neu-Aufbau und zwei Testrunden bereit für L’Eroica.

Zunächst bin ich sogar nur mäßig interessiert, als er mir davon erzählt, aber das ändert sich schnell als ich den Rahmen erst in der Hand habe.

Ich wusste, dass Wilhelm Altinger einen guten Ruf in Münchner Rennradkreisen genießt und auch, dass er den ein oder anderen Radprofi ausstattete. Aber die hohe Detailverliebtheit und Sorgfalt seiner Arbeit habe ich nicht erwartet. Doch Bilder sagen mehr als Worte…

Noch mehr als die schönen Rahmendetails begeistert mich der Rahmen bei der ersten Ausfahrt. Das Rad zeigt sich unglaublich agil und macht vom ersten Moment an nur Spaß. Der Radstand ist mit etwas weniger als 97cm zwar ein meßbarer Indikator für die Agilität, aber Fahrspaß lässt sich nicht in Zahlen packen.

Ich kann im Grunde gar nicht sagen, woran es liegt, aber der Rahmen ist dem Willi Altinger einfach gelungen.

Das Rennrad gibt mir von Beginn an so ein gutes Gefühl, dass ich es noch ganz spontan nach Gaiole mitnehme. Und das, obwohl ich vorher nur knapp 100 km darauf gefahren bin und längst ein anderes fest eingeplant hatte.

Mein Peugeot PY 10 CP darf sein makelloses Lackkleid noch etwas länger tragen.

Das war L’Eroica 2021

Ähnlich wie mit dem guten Gefühl auf dem Altinger geht es mir mit meinem viertägigem Aufenthalt in Gaiole. Ich kann auch hier nicht mit Bestimmtheit sagen warum, aber es ist der bisher schönste Ausflug in den kleinen Ort im Chianti.

Trotz kleinerer Einschränkungen durch Corona, etwas kleinerem Markt und obwohl es z.B. die legendäre Jolly-Bar in alter Form nicht mehr gibt.

Strade Bianche oberhalb von Siena seblog.de
Mal wieder zusammen unterwegs: Seb und Axel mit Siena im Hintergrund.

Dafür geht es dieses Jahr entspannt zu. Die Aufteilung der Veranstaltung auf zwei Fahrtage (am Samstag 135 + 210km und am Sonntag die kürzeren Strecken) tut der Veranstaltung gut. Dazu gesellen sich tolles Wetter, jedes Jahr mehr Bekannte und einfach gute Freunde, bei denen ich auch dieses Jahr wieder unterkomme.

Mehr braucht es wohl auch nicht…

Ach schön, wenn immer alles so schön ist!*

Altinger am Monte Santa Maria seblog.de
Unterlenker im Wiegetritt und ganz ganz langsam hinauf nach Monte Sante Marie.

Wenn alles so zusammenpasst…

…dann kann man – vor allem im Nachhinein – schon auf die Idee kommen, sich doch noch mal etwas mehr zu plagen und die Heldenrunde über 210 km anpeilen – auch wenn man sich doch eigentlich nichts mehr beweisen muss. Irgendwie kommt der Gedanke immer wieder.

Monte Sante Marie seblog.de
Mein Begleiter Axel in Monte Sante Marie – das Schwierigste mal wieder geschafft.

Für dieses Jahr haben mir die 135 Kilometer gereicht. Die Form reichte gerade noch, um auch am Monte Sante Marie trotz Heldenkurbel nicht vom Rad zu müssen, und ein langer Tag auf dem Rad wurde es auch so. Den feierlichen Ausklang nahm er erstmals in der Bar Centrale.

* blöder Spruch von mir für “Eingeweihte” 😉

Eine Antwort auf „Mit dem Altinger nach Monte Sante Marie“

  1. Mei, des war doch au’ wieder schee! Dank dir fürs Aufschreiben. In meinen alten Tagen werd’ ich die G’schicht’n vom Seb und mir lesen, und denken: Mei war des schee, als alles no’ so schee war!

    Und dann, ja dann setz’ i mi mit dir aufs Radl und frei mi, dass die alten Knochen die Kurbel imma noch im Ring rum krign. Irgendwo zwischen Markt Schwaben und Tegernseer Fischerstueberl…

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