Velos de course – Französische Rennräder

Französische Rennräder sind anders – anspruchsvoller.

In den vergangenen Wochen haben mich zwei französische Rennräder beschäftigt. Das erste habe ich ganz gezielt gekauft, das andere eher zufällig. Die eine rassige Zigeunerin (Gitane) – das andere stoischer Randonneur (Peugeot), beide aus den 70er Jahren und beide können ihr Alter nicht wirklich verbergen. Vielleicht versprühen sie gerade deshalb einen besonderen Charme.

 

Den Rahmen der Gitane Super Olympic aus dem Jahr 1974 konnte ich mit vertretbarem Risiko bei ebay.fr ersteigern. Die Farbe und das Baujahr haben mich sofort angesprochen. Schon länger war ich auf der Suche nach einem klassischen Rennrad meines eigenen Baujahrs, und in schönen Blautönen sprechen mich Rennräder sowieso immer an.

So habe ich spontan zugeschlagen, ein paar Tage gehofft und letztlich erleichtert festgestellt, dass der Rahmen technisch in Ordnung und auch optisch noch brauchbar war. Super, eine Gitane der Oberklasse, und das aus meinem Jahrgang.

Gitane Super Olympic Rahmen
Wieder einmal Stahl in blau – Gitane Super Olympic
Recherchen zu Modell und Baujahr

Zu den schönsten Seiten beim Kauf alter Rennräder gehört es, ihre Geschichte zu ermitteln. Auch wenn es aus den Siebziger Jahren im Grunde von keinem Hersteller mehr direkte Informationen gibt, so findet man dank Internet-affinen Leidenschafts-Genossen trotzdem oft fundierte Informationen dazu im Netz, obwohl es das in den 70er Jahren noch lange nicht gab.

Im Falle meiner beiden französischen Rennräder ging die Recherche diesmal leichter von der Hand als erwartet, denn zu beiden Herstellern gibt es umfangreiche Informationen im Netz.

Gitane Super Olympic (1974)

Zum Gitane Super Olympic wurde ich bei gitaneusa.com fündig, einer hervorragenden US-amerikanischen Seite, die sich vor allem der Zeit widmet, in der Greg Lemond auf einer Gitane seine erste Tour de France gewann. Sie bietet ein umfangreiches Katalog-Archiv, auch aus den Jahren davor, das mir viele Fragen zur zeitlichen Einordnung der Gitane-Rennräder und ihrer Ausstattung beantwortete.

Dennoch ließ sich mein Gitane-Rahmen zumindest zeitlich nicht hundertprozentig einordnen. Dank Farbe und originalen Rohrsatzaufklebern – Rahmen und Gabel bestehen komplett aus dem jahrzehntelang bewährten Reynolds 531 Rohrsatz – ließ sich der Rahmen recht schnell als eine Gitane Super Olympic identifizieren.

Gitane Super Olympic von 1974
Gitane Super Olympic (1973/1974) nach Neuaufbau

Den Decals nach (Rahmenaufkleber) handelte es sich dabei jedoch um ein Modell bis einschließlich 1973, denn ab dem Modelljahr 74 gab es eigentlich schon neue Schriftzüge in gänzlich überarbeiteter Optik. Die auffälligen Honeycomb Ausfallenden jedoch gab es erst ab 1974.

Der Verkäufer, ein französischer Händler, hatte ohne Konjunktiv von einer Gitane Super Olympic aus dem Jahr 1974 gesprochen. Denkbar ist, dass es sich um ein frühes 1974er Modell handelt und der Decalsatz vom Vorjahr war noch übrig oder auch umgekehrt, ein spätes 73er, bei dem die neuen Ausfallenden schon mal zum Test verbaut wurden.

Honeycomb Ausfallenden an der Gitane
Die auffälligen Honeycomb Ausfallenden gab es erst ab 1974 (bis 1976).
Restauration und Neuaufbau

Zu Schaffen machte mir die Gitane vor allem mit zahlreichen Lackschäden und Roststellen, die zum Glück eher oberflächliche Natur waren. Es gestaltete sich als schier unmögliche Aufgabe, einen Farbton zu finden, der dem durch jahrzehntelange Sonnenbestrahlung ungleichmäßig ausgebleichten Lack wirklich nahe kam. Ich habe mich letztlich für ein blau-metallic entschieden, das zwar annähernd dem Ursprungslack entspricht, dafür an den ausgebleichten Stellen des Oberrohrs zum Beispiel besonders deutlich zu erkennen ist.

Beim Neuaufbau wollte ich ganz klar eigene Wege gehen.  Zu viele Gitane Super Olympic und Super Corsa habe ich schon als perfekten Katalogaufbau gesehen und bewundert. Da hätte meine im Vergleich alt ausgesehen und noch eine perfekte brauchte es auch nicht. Zeitgemäß wollte ich sie aber schon aufbauen.

Aufbau mit Shimano Dura Ace der ersten Generation

Im Jahre 1973 stieg Shimano mit der ersten Generation seiner heute noch berühmten Dura Ace Gruppe in die Ausstattung professioneller Rennräder ein. Eine japanische Gruppe an der französischen Diva, das gefiel mir sofort. Nicht zuletzt, weil ich die tolle Funktionalität der ersten Shimano Dura Ace Gruppe schon ausführlich getestet habe und mit Ausnahme der Bremsen für in der damaligen Zeit schon überlegen halte.

Shimano Dura Ace Black (1. Gen.) am Gitane
Shimano Dura Ace Black Komponenten der ersten Generation an der Gitane

Als französischer Beitrag zur Gruppe ergänzt eine hochwertige Stronglight Kurbelgarnitur mit schwarzen und gelochten Kettenblättern den ansonsten japanisch dominierten Aufbau. Sie passt optisch perfekt und ermöglichte mir das vorhandene Stronglight Innenlager weiterhin zu nutzen. Zeitgemäße Shimano Innenlager mit französischem Gewinde sind selten.

Ausgeliefert wurde das Gitane Super Olympic Mitte der Siebziger Jahre wahlweise mit einer kompletten Campagnolo Nuovo Record Gruppe oder mit dem damals typisch französischen Mix aus Mafac Mittelzugbremsen, Simplex Schaltgruppe, Maillard Naben und Stronglight Kurbelgarnitur.

Philippe Lenkerpartie am Gitane Super Olympic
Französische Philippe Lenkerpartie an der Gitane

Dass auch mein Rahmen ursprünglich französisch aufgebaut war, konnte ich an dem noch verbauten Stronglight Steuersatz mit dem Gegenhalter für die Mafac Mittelzugbremsen erkennen, der leider nicht weiter zu verwenden war. Auch das Stronglight Innenlager und die durchweg französischen Gewinde bestätigten das und erschwerten den alternativen Aufbau. Endgültig machbar wurde der erst durch einen netten Kollegen, der mir einen nagelneuen Dura Ace Black Steuersatz mit französischem Gewinde günstig vermachte.

Apropos französische Gewinde am Rennrad

Bis etwa Mitte der Achtziger Jahre kochten die dominierenden Hersteller in Italien, Frankreich, Großbritannien und dem Rest der Welt ihre eigene Suppe in Bezug auf Gewinde und Maße am Rennrad. Mit besonderer Inbrunst und  größter Abweichung zum Rest erfolgte dies in Frankreich.

Ein französisches Rennrad aus dieser Zeit hat deshalb in der Regel eigene Gewindemaße beim Innenlager (FRA 35×1, 68mm, Rechtsgewinde), beim Steuersatz (35×1, 26,4 oder 27,0 Gabelkonus) und der Schraubkranzaufnahme an der Hinterradnabe. Zusätzlich erfordern französische Pedale eine Kurbel mit dazu passendem 14×1,25 Gewinde.

Aber es wird noch besser. Denn auch der Gabelschaft französischer Rennradrahmen weist statt der damals weltweit üblichen 22,2mm meist nur eine 22,0mm Aufnahme für den Vorbau auf.  Passende französische Vorbauten haben bei der Lenkeraufnahme außerdem oft nur 25,0mm Durchmesser, statt der sonst meist gebräuchlichen 25,4mm. Aber es kann auch ganz anders sein, auch das ist durchaus typisch für französische Fahrradrahmen aus dieser Zeit.

Ersatzteilbeschaffung für französische radklassiker

Für die meisten klassischen Rennrädern bekommt man heute noch optisch und technisch passende Kombinationen aus 1″-Schaftvorbau und Lenker, in manchen Fällen sogar angelehnt ans Original neu aufgelegt. Gute Beispiele dafür kommen von Nitto oder Cinelli, auf die ich bei diesen sicherheitsrelevanten Komponenten selbst sehr gerne zurückgreife. Ein nicht unerheblicher Vorteil.

Bei französischen Rahmen hingegen, die vor mehr als 30 Jahren gefertigt wurden, bleibt nur der Griff zu hoffentlich gut erhaltener gebrauchter Ware oder unerschwinglicher alter Lagerware (NOS). Denn kein Hersteller fertigt heute noch mit französischen Maßen.

Eine rühmliche Ausnahme bilden hier Innenlager-Patronen, die es von einigen asiatischen Herstellern wieder mit französischem Gewinde gibt, allerdings nur mit dem Shimano-kompatiblen JIS-Vierkant, der meist nicht wirklich gut zu alten französischen Kurbeln passt.

 

Steuerkopfschild am Peugeot PR 60 L (1978)
Schönes Steuerkopfschild am Peugeot

Peugeot PR 60 L Gentleman (1978)

In den Besitz des eher einfachen Randonneur-Rades von Peugeot kam ich völlig ungeplant. Ich verfolgte rein interessehalber eine Kleinanzeige aus der näheren Umgebung.

Nach zweimaliger Preissenkung schrieb ich den Besitzer an, das Rad sei jetzt günstig genug und er solle sich doch die nötige Zeit lassen. Das sprach ihn offenbar an und er antwortete mir, dass er mir das Rad sogar vorbeibringen würde, weil ich so nett geschrieben hätte. Naja, was hätte ich da machen sollen?

Ich habe es geholt.

Es präsentierte sich wirklich im Originalzustand aus dem Jahr 1978, nur die Reifen waren gewechselt worden und das hintere Schutzblech fehlte leider. Der Erhaltungszustand war substantiell gut, der Lack jedoch an vielen Stellen  großflächig abgeschabt – vor allem am Hinterbau.

Peugeot PR 60 L (1978)
Peugeot PR 60 L (1978) im Kaufzustand: original, aber ziemlich mitgenommen.

Die Recherche zum Modell gestaltete sich noch einfacher als vorher beim Gitane. Auf bikeboompeugeot.com  finden sich fast aus jedem Jahr der langen Geschichte Peugeots als Fahrradhersteller Prospekte und Kataloge nach den Ländern sortiert, in denen die Marke vertrieben wurde. Vergleichbar gutes Recherche-Material habe ich noch bei keinem meiner älteren Räder vorgefunden.

Durch das Peugeot wurde ich neben den französischen Gewinden auch erstmals mit der Notwendigkeit eines 7mm Innensechskant-Schlüssels konfrontiert. Eine solche wies nämlich der Vorbau auf, den ich leider ersetzen muss, da sich beim weiteren Zerlegen herausstellte, dass der Lenker in einer Weise verbogen ist, die auf eine in der Vergangenheit ziemlich harte Landung hindeutet.

Weitere Schäden konnte ich nicht ausmachen. Alle Schrauben – mit Ausnahme der rechten Lagerschale – ließen sich gut lösen. Sogar die Lager selbst erfreuen sich auch nach 40 Lebensjahren noch erstklassiger Beschaffenheit. Das hatte ich nicht erwartet.

Ideen zum Wiederaufbau

Ganz original werde ich das Peugeot nicht wieder aufbauen, da mir neben der defekten Lenkerpartie ein paar andere Teile zu minderwertig sind, so zum Beispiel die verchromte Sattelkerze und der Schaumstoff-gepolsterte San Marco Sattel.

Festhalten möchte ich an der originalen Stronglight Kurbel, den Mafac-Mittelzubremsen und der Simplex-Schaltung, wobei ich die einfachen Blechschalthebel wahrscheinlich durch höherwertige von Simplex ersetzen werde.

Richtig gut gefällt mir der an den Mafac-Bremsen montierte Baguetteträger, der die bei Randonneuren typische  Lenkertasche von unten stützen soll.

Baguetteträger an der vorderen Mafac Bremse vom Peugeot PR 60
Typisch für den französischen Randonneur: Baguetteträger an Mafac Bremse
Spezielles Werkzeug für Französische Rennräder

Ich habe in den vergangenen Jahren einige Spezialwerkzeuge für meine Rennradklassiker gesammelt, aber die beiden Franzosen hatten auch diesbzgl. ihre eigenen, neuen Ansprüche.

Konkret erforderlich waren der Kauf eines Kurbelabziehers für die Stronglight Kurbelgarnitur und eines Zahnkranzabziehers für Maillard Atom-Zahnkränze. Den 7mm Innensechskant-Schlüssel musste ich mir auch erst besorgen.

Bei den Tretlagerschalen bin ich mit bestehendem Werkzeug zu Recht gekommen. Hilfreich war, neben den üblichen Haken- und Zapfenschlüsseln, ein frei verstellbarer Maulschlüssel und für die Demontage die Zuhilfenahme des Schraubstocks.

Die französischen Wochen gehen weiter

Die beiden Franzosen werden mich noch eine Weile beschäftigen. Während ich mit der Gitane schon ein paar hundert Kilometer absolviert habe, die meisten davon über ruppige Naturstraßen, wartet das Peugeot zerlegt in Einzelteil auf seinen Wiederaufbau. Der wird sich wohl noch eine Weile hinziehen.

Brooks C17 Cambium am Gitane Super Olympic
Mit der Gitane unterwegs – wir wachsen langsam zusammen.

Die Gitane favorisiere ich momentan außerdem für meinen diesjährigen Ausflug zur Eroica in Gaiole Anfang Oktober. Ganz sicher bin ich mir aber noch nicht, auch wenn sie mir mit jeder Ausfahrt mehr ans Herz wächst.

Das Peugeot soll dann rechtzeitig zur kälteren Jahreszeit wieder einsatzbereit sein. Mit den serienmäßigen Schutzblechen und der etwas gröberen Machart scheint es dafür wie gemacht.

4 Antworten auf „Velos de course – Französische Rennräder“

  1. Sehr schönes Gitane!
    Deine Behauptung, die Gitanes der 70er/80er Jahre lassen sich leicht identifizieren, halte ich aber für, gelinde gesagt, gewagt.
    Ich besitze ein güldenes Exemplar mit teilverchromter Gabel und Hinterbau und den Honeycomb-Ausfallenden und schwanke zwischen Olimpique und TdF Ausführung.
    Anhand der willkürlichen Rahmennummer lassen sich die Gitanes auch nicht identifizieren.
    Ausgestattet ist es mit Huret Jubilee Schaltensemble, Stronglight 93 Kurbelgarnitur, Mafac Competition Bremsen, Simplex Sattelstütze und Ideale Sattel. Die Lager sind dann natürlich logischerweise von Campagnolo.
    Merkwürdigerweise haben das Innenlager und die Gabel BSA-Gewinde.
    Soviel zu französischem Standard.
    Leider ist die Fertigungsqualität auch typisch französisch, d.h., unter aller Kanone. Vor kurzem hat im Biete-Faden jemand sogar einen PY-Rahmen als defekt angeboten, weil der Bremssteg total schief eingelötet war. ;-D
    Trotzdem oder vielleicht gerade deshalb liebe und fahre ich das Gitane sehr gerne.

    1. Hallo Oliver,

      ich hätte wohl besser „relativ“ einfach schreiben sollen, da stimme ich Dir zu. Aber bei Gitane hat man wenigstens noch die Zugriff-Möglichkeit auf alte Kataloge, die es gescannt im Netz gibt. Bei vielen anderen Herstellern gibt es nicht einmal das.

      Zu deinem Gitane-Renner: der Unterschied zwischen den Modellen Olympic und Tour de France war meines Wissens, dass beim TdF zu dieser Zeit nur die Hauptrohre aus Reynolds 531 Rohren bestanden, beim Olympic hingegen alle inkl. Gabel. Das kannst Du über die Rahmenaufkleber herausfinden, so noch vorhanden, ansonsten wohl nur über das Rahmengewicht.

      BSA-Gewinde waren bei den guten Gitane-Rahmen Ende der Siebziger wohl gar nicht so selten. Das soll wohl damit zusammenhängen, dass es die Topmodelle auch von vornherein mit Campagnolo-Ausstattung gab – wobei es die Komponenten ja auch mit franz. Gewinde gegeben hat. Ich habe jedenfalls schon öfter davon gelesen.

      Zum Fertigungsstandard: ja, da bin ich echt enttäuscht. Ich führe das darauf zurück, dass die Franzosen Rennräder schon sehr frühzeitig industriell gefertigt haben, es aber noch kein wirkliches Qualitätsmanagement gab.

      Mich zieht Gitane auch trotzdem weiter an. Kürzlich habe ich einen 1981er Trophee Rahmen erworben 🙂

      Beste Grüße
      Sebastian

  2. Hallo, ich bin auch ein franko nerd und sammle hauptsächlich französische Rennräder, – so wie bei den Autos zu dieser Zeit findet man die Qualität ähnlich der Lebensart charmant, oder eben nicht..
    Aber ja, immer wieder gibt es Überraschungen bei der Restauration und trotzdem sind oftmals die französischen Hersteller irgendwie speziell in der. Konstruktion, im. Form. Follows Funktion, nicht so eitel und glänzend wie die Italiener, aber trotzdem klasse.

    Gerne verweise ich zum stöbern auf meine instagram Seite vélo _Renaissance …..

    A bientôt Mathias

    1. Salut Mathias,

      Du hast ja auch ein paar ziemlich ausgefallene Franzosen im Stall, sehr schön. Leider konnte ich nur die auf deinem WordPress-Blog sehen. Ich habe selbst keinen Instagram-Account und habe deinen via Suchmaschine nicht gefunden.

      Beste Grüße
      Sebastian

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