Große Freiheit 28

Die Neue Freiheit – 28mm Reifen am Rennrad.

Die einfachsten Ideen und Entwicklungen sind oft die besten. Jedenfalls empfinde ich persönlich den Trend zu breiteren Reifen am Rennrad als vielleicht spannendste Entwicklung, seit ich in den späten Achtziger Jahren mit dem Rennradfahren begonnen habe.

Dabei von Entwicklung zu reden ist vielleicht etwas hoch gegriffen, denn 28mm Reifen gibt es schon sehr lange – nur eben nicht am reinrassigen Rennrad.

Paradigmen-Wechsel hin zu breiteren Reifen

Im Grunde hat in den letzten Jahren ziemlich unaufgeregt ein Paradigmen-Wechsel stattgefunden, wahrscheinlich auch weil zum Beispiel Jan Heine (Herausgeber der Zeitschrift Bicycle Quarterly) in seinen Versuchen immer wieder plausibel darlegen konnte, dass ein breiterer Reifen gar keine größere Kontaktfläche zum Asphalt aufweisen muss als einer schmaler.

Die Vorteile eines breiteren Reifens bei der Haftung in Kurven und beim Fahrkomfort auf unebenen Straßen können die lange überbewerteten Nachteile des größeren Luftwiderstandes und höheren Gewichtes im Alltagsbetrieb meist mehr als ausgleichen.

Deswegen fahren außerhalb von Zeitfahren heute selbst Radprofis  zumindest 25mm breite Reifen. Als ich in den späten Achtziger und frühen Neunziger Jahren meine ersten Rennraderfahrungen sammelte, war das noch ganz anders. Damals waren gerade schmale Reifen angesagt. Wer etwas auf sich hielt, war auf 20mm unterwegs. Je schmaler desto schneller dachte man.

Mancher Hersteller hatte aus diesem Grund sogar 18mm schmale Rennradreifen im Programm, die mit 9-11 Bar Reifendruck gefahren und umgangssprachlich schon mal treffend als “Dackelschneider” bezeichnet wurden.

Selbst bevorzugte ich damals schon 23er Reifen, auch weil ich schon aus finanziellen Gründen im Training und im Radrennen mit dem selben Material unterwegs war.

700x28C = Mehr Möglichkeiten

Heute bin ich lieber auf 25 und noch lieber 28mm breiten Reifen unterwegs, jedenfalls dann, wenn es das jeweilige Rennrad technisch erlaubt. Bei meinem Hardo Wagner Rennrad ist leider schon bei 23mm Schluß, da es mit seinem 39er Bremsmaß so knapp konstruiert ist, dass ein 25er schon nicht mehr genug Platz unter der Vorderbremse findet, aber das st die Ausnahme.

Je mehr ich auf mit 28er “Breitreifen” besohlten Rennrädern fahre, desto mehr begeistern mich diese. Seitdem ich im vergangenen Jahr bei der Eroica erstmals auch eine längere Strecke mit den 28er Panaracer Pasela Reifen auf wirklich ruppigem Terrain unterwegs war, habe ich in Bezug auf ihre Geländegängigkeit immer mehr Vertrauen in meine Rennräder entwickelt.

Mit 28er Panaracer Pasela Reifen auf den Strade Bianche bei L’Eroica

Immer öfter suche ich jetzt die Feld-, Wald- und Wiesenwege ohne Verkehr auf, die es mir mit mehr Natur, Ruhe und Schöheit danken.

Rennrad statt Gravel-Bike

Auf den zahlreichen Schotterstraßen rund um meinen Wohnort werde ich unbeabsichtigt mehr und mehr zum Anhänger der gerade parallel boomenden Gravel-Bewegung, ohne jedoch auf einem der dafür neu entwickelten Gravel-Bikes zu sitzen, die in vielen Fällen ja doch nur Crossräder mit neuem Namen sind.

Im Kern gefällt mir diese Mode-Erscheinung auch. Und müsste ich mich für ein einziges Rad entscheiden, dann käme ein Gravel-Bike wohl in die engere Auswahl – zumindest, wenn es aus Stahl gefertigt und mit den notwendigen Ösen für die lange Meile ausgestattet wäre.

Doch wenn ich derzeit mit meinen Rennradklassikern auf 28er Reifen über die staubigen Pisten brettere, dann frage ich mich schon, wozu ich ein modernes Gravel-Bike brauche, wenn es auf einem alten Stahlrenner mit “Breitreifen” so viel Spaß und Freude bereitet.

Bianchi Rekord 910 auf 28mm Conti Super Sport

Und ganz ehrlich: wenn ich mit einem 28mm stark besohlten Rennrad nach einer Schotterpiste  wieder auf den glatten Asphalt rolle, dann beschränkt sich das Fahrgeräusch unmittelbar auf das Surren der Speichen im Wind und ich gleite unvergleichlich lautlos und stilvoll dahin, statt mich über eine schleifende Scheibenbremse und das Laufgeräusch von Stollenreifen zu ärgern.

Für mich gibt es derzeit einfach nichts passenderes als ein klassisches Rennrad mit 28er Reifen.

Reifenwahl

Schmalere Reifen kommen bei mir derzeit nur noch aus zwei Gründen zum Einsatz:

  1. Nicht alle meine Rennräder bieten ausreichend Reifenfreiheit für 700x28C
  2. Es gibt echte kaum “Leichtläufer” in 28er Breite, der Veloflex Master in 700x28C ist hier eine recht neue rühmliche Ausnahme, fällt jedoch eher schmal aus für einen 28er.

Selbst nutze ich bisher vor allem den Panaracer Pasela, auch weil mich neben seiner robusten und klassischen Machart seine Nasshaftung überzeugt. Leider ist er kein ausgesprochener “Leichtläufer”, wenn man auf glattem Asphalt unterwegs ist. Das kann ein Veloflex einfach besser.

Eine günstige Alternative in klassischer Optik stellt der Michelin Dynamic Classic dar, den ich allerdings noch nicht ausreichend hart ran genommen habe, um ihn schon beurteilen zu können. Was ich bisher sagen kann ist, dass er für den günstigen Preis zumindest auf trockenen Straßen ordentlich läuft.

Günstiger 28mm Reifen in klassischer Optik – der Michelin Dynamic Classic

Reifenschäden hatte ich im vergangenen Jahr übrigens erst einen einzigen – mit einem 25er Veloflex Master bin ich beim Zieleinlauf der In Velo Veritas in eine der zahlreichen Glasscherben gerollt. Und das wäre mir mit jedem anderen Rennradreifen wohl genauso gegangen.

Was den idealen Reifendruck mit 28mm Reifen angeht, habe ich mich Stück für Stück von anfangs mehr als 6,5 auf derzeit ungefähr 5 Bar nach unten gearbeitet. Wahrscheinlich ginge bei meinem Gewicht von 65kg sogar noch etwas weniger, ohne dass das Fahrgefühl zu schwammig wird oder der Pannenschutz merklich leidet.

Fazit

Die positiven Erfahrungen mit den 28mm Reifen haben die Spielwiese für meine Rennräder deutlich erweitert. Ich liebe es mit Feingefühl über Schotterpisten zu brettern, auch mal neue Wege zu probieren und selbst wenn sie ruppig werden, nicht umkehren zu müssen.

Natürlich erfordert das Befahren von Naturstraßen mit dem klassischen Rennrad mehr Aufmerksamkeit und Fahrgefühl, als mit dem Gravel- oder Mountainbike, aber auch das macht das besondere Fahrerlebnis für mich aus. Der Wechsel zwischen Asphalt- und Naturstraßen erfährt sich einfach mit keinem anderen Fahrrad so intensiv wie mit dem Rennrad.

Wege, die früher eine unnötige Tortur für Material und Fahrer darstellten, werden mit den modernen 28mm breiten Rennradreifen zu einem unvergesslichen Erlebnis, das man – einmal erlebt – immer wieder suchen wird.

Eine Antwort auf „Große Freiheit 28“

  1. Man muss allerdings beachten, dass die breite Bereifung, also alles oberhalb von 25 mm Breite, ihre Vorteile erst dann vollständig ausspielen kann, wenn sie zusammen mit entsprechend breiten Felgen verwendet wird. Ich war da auch erst skeptisch, bis ich dann mal die aktuelle Mavic OPEN PRO UST, die mit 22 mm Außenbreite daherkommt, zusammen mit einem 28mm breiten Schwalbe One gefahren bin. Das Ergebnis rollt selbst bei Verwendung eines Schlauches merklich besser als ein 23mm breiter Reifen gleichen Typs. Und die Felge bringt lediglich schlappe 398 g auf die Waage, ist aber bombensteif.

    Bei den klassischen Rennrädern der 70er bis 90er waren dagegen immer sehr schmale Felgen Standard, so dass darauf montierte 28mm-Reifen nicht ihr volles Potential ausspielen können. Dies war in den 90ern auch ein Problem für Crosser, die Draht-/Faltreifen in 28-33 mm Breite fahren wollten. Weniger wegen der Fahreigenschaften, mehr wegen der Pannenanfälligkeit (snakebites), weswegen damals auch im Amateurbereich der Schlauchreifen das Mittel der Wahl war. Mit den heute verfügbaren breiteren Felgen sowie den tubeless-Reifen sieht das aber auch ganz anders aus.

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